Knobeln im Juni

Als Miss Gott runterkommt, ist es acht Uhr vierzehn. Stadteinwärts staut sich der Verkehr. Die Wettervorhersage meldet Schauer. 117 Menschen in Miss Gotts Blickfeld sind auf dem Weg zur Arbeit, 85 gehen zur Schule, 13 haben keine genaueren Pläne, einer stirbt und zwei kommen zur Welt. Eine Taube fliegt tief.

Miss Gott ist voller Tatendrang. Geht's jetzt los, machen wir was?

Keine Reaktion. 217 ausdruckslose Augenpaare starren durch sie hindurch. Nur der Tote zeigt ein gewisses Interesse nicht ganz uneigennütziger Art: Wo denn jetzt das Paradies sei? 

Aber Miss Gott hat keine Lust, sich mit den Toten zu befassen, die können warten, die haben Zeit. Das Dumme ist nur, dass die Lebendigen nicht viel lebendiger wirken. Leute, was ist los? Miss Gott ist eine Freundin klarer Worte, schon immer gewesen. Sie rüttelt an einem Mädchen und einem pickeligen Bankangestellten. Hallo? Hört ihr mich? Keine Reaktion. Wenn Miss Gott es nicht besser wüsste, würde sie annehmen, es handele sich um Statisten. Was ist los mit euch?, fragt sie und als das nicht hilft, brüllt sie WAS IST LOS MIT EUCH? Ein paar Berge stürzen ein, die Hasen verkriechen sich in ihren Höhlen und die Meere bäumen sich auf vor Schreck. Nur die Menschen zeigen keinerlei Reaktion. 

Miss Gott schüttelt den Kopf über so viel Ignoranz. Was soll's?, denkt sie dann. Versuche ich es eben bei den Ameisen, vielleicht sind die aufgeschlossener. 

Wie das ausgeht, ist nicht überliefert, aber im Wald hört man manchmal, wenn man sehr leise ist, Musik, Gesang und das Klackern der Knobelbecher und Lachen dazu, sehr viel Lachen.

 

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Kommentare: 1
  • #1

    Elke (Donnerstag, 30 Juni 2016 16:13)

    Ein sehr frischer Text !
    Muss schön sein mit Miss Gott bei den Ameisen. Da möchte ich auch hin. Elke.

 

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