Frühlingsgefühle

Am Anfang, als alle Butterblumen strahlten und die Amseln ihre Liebeslieder sangen, versprach mir einmal ein Mann: „Für dich will ich ein besserer Mensch werden.“ Nun handelte es sich nicht um einen Kleinkriminellen. Er trank selten über die Maßen und hielt seinen Mitmenschen die Türen auf. Deshalb und weil ich verliebt war, wusste ich, was die einzig richtige Antwort ist: „Das brauchst du nicht. Du bist wunderbar.“ Gleichzeitig war ich aber auch nicht dumm. 

Ich wusste, dass die Gefahr groß ist, das „Du bist gut, wie du bist“ durch ein „Du könntest gut sein, wenn“ zu ersetzen. Wenn du dich ändern würdest, nur ein wenig. Wenn du die Zahnpastatube zudrehen, den Müll runterbringen, Möhren essen würdest.

Nur, was dann?

Wir leben im Zeitalter der Selbstoptimierung. Zeitschriften, Seminare und Psychotests suggerieren uns: Es gibt immer etwas zu verbessern. Es hört nie auf. Für die schönere Nase gibt es Chirurgen, für feste Oberarme Trainingspläne. Um bessere Mutter/ Liebhaberin/ Arbeitnehmerin zu sein gibt es Coachs, um eine funktionierende Weltenbürgerin zu sein, Therapien. Und den Zustand der eigenen Selle optimiert man mit einer Meditationsreise nach Bali. Wer nicht glücklich ist, ist selber Schuld.

Früher musste man für seine Erlösung beten. Heute muss man etwas dafür tun. Niemand sagt uns, dass wir Sünder sind. Es ist auch nicht mehr nötig. Denn wir übernehmen das jetzt selbst. Natürlich unter dem Mantel des Wohlmeinens. Wir glauben verheißungsvollen Versprechen, wie es wäre, kommunikativer, verständnisvoller, gelassener oder beweglicher zu sein. Die Botschaft bleibt trotzdem: Du bist nicht okay. Ändere dich.

Damals, als es noch keine Frauenzeitschriften gab, wurde Jesus mal gefragt, was das allerwichtigste Gebot sei. Er sagte: Gott lieben und seinen Nächsten lieben wie sich selbst. Man könnte das übersetzen: Sich angenommen fühlen. Sich selber annehmen. Und deshalb auch andere annehmen können. Wer in einem solchen Meer an Liebe schwimmt, kann nicht untergehen. Schon gar nicht wegen einer offenen Zahnpastatube.


(erschienen in Welt der Frau, gekürzt)


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Kommentare: 4
  • #1

    Ll+ilo (Sonntag, 29 März 2015 18:56)

    Liebe Susanne !
    Danke für den kleinen Kurs in evangelischer Rechtfertigungslehre .

  • #2

    Susanne (Montag, 30 März 2015 09:32)

    :-)

  • #3

    Elke (Mittwoch, 01 April 2015 05:35)

    Danke. Ich finds sehr schön, was Du geschrieben hast !
    Herzliche Grüße von Elke

  • #4

    wawawarum (Dienstag, 12 Mai 2015)

    Diese Worte sind ein heilsamer Widerspruch zu meinem eigenen Anspruch und dem, was sich gerade in der Bildungspolitikschon in der Grundschule niederschlägt.
    Danke!

 

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