Lustprinzip

Liebe Eva,


ich bin Susanne. Ich mag Himbeeren und Gendersternchen und dich. Wenn ich an dich denke, denke ich an Emanzipation. Das Wort hast du erfunden. Ich seh dich, wie du auf der Schwelle stehst. Nach draußen, ins Freie. Die Sicherheit lässt du zurück. Aber hej, denke ich - fürchte dich nicht. Gott hat die Sehnsucht in unser Herz gelegt. Nicht die Schuld. Lass dir das nicht einreden, auch in hunderttausend Jahren nicht. Männer haben das lang genug versucht, um die Welt zu beherrschen und die Frauen dazu. Hier ist dein Platz, haben sie gesagt und die Mauern immer enger gezogen, bis das Paradies nur noch vom Herd bis zur Wiege reichte.
Wenn es gut läuft, wirst du als Mutter aller Menschen bezeichnet, das ist auch so ein Ding: Wenn schon Frau, dann wenigstens Mutter. Okay, dann sage ich es mal so: Du hast uns die Lust am Denken in die Wiege gelegt. Die Lust, zu fragen: Wer, wie, was, wieso, weshalb, warum – wer nicht fragt, bleibt dumm.

Das Gehirn ist dein schönstes Körperteil. Diät? Hat es nicht nötig.

Es gebiert die Phantasie, die vorwegnimmt, was noch nicht ist, aber sein könnte. Und dazu haben wir ein funktionsfähiges Gewissen bekommen und ein Herz voll Empathie. Du bist nicht die einzige auf der Welt. Adam steht an deiner Seite, und das ist gut. Besser ist es zu zweit und eine dreifache Schnur reißt nicht so schnell. Ich bin eure Verbündete, und ich hab Lust. Weiterzudenken. Ich hab Lust, die Welt zu erforschen. Es gibt so viel zu entdecken. Amen, sagt Gott. Und gibt uns Proviant für unterwegs: Drei Äpfel und einen Sack Vertrauen.

aus: Drei Briefe an Eva. Wohnzimmerkirche, Lustprinzip

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