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Der Dienstag vor 2000 Jahren begann nicht gut. Der Himmel ist bewölkt. Die Brotpreise steigen. Es gibt Hassbotschaften, selbst aus unserem Netz. Wir brauchen eine Pause, das ist offensichtlich. Also brechen wir auf und verschwinden. Denn das habe ich gelernt in dieser Zeit: dass man es nicht allen recht machen kann.

Aber wir bleiben nicht allein. Andere kommen dazu. Leute, die wir noch nie gesehen haben. Wir setzen uns ins Gras. Es liegt was in der Luft: Etwas Unvollendetes, eine Sehnsucht, die sich heute Abend erfüllen könnte. Ich bin das Licht, sagt Jesus, und die Leute halten ihre Gesichter in die Sonne. Ich bin das Brot, sagt er. Ich schließe die Augen und lasse die Worte auf der Zunge zergehen.

Es ist spät, flüstert Petrus. Die Leute haben Hunger. Und dass wir jetzt mal was organisieren müssten. Ich schließe meine Augen wieder. Ich will nichts organisieren. 

Am Horizont erscheint der erste Stern. Schickt sie nicht weg, sagt Jesus. Es ist so schön. Gebt ihr ihnen zu essen. Wir haben fünf Brote, zwei Fische und einen angebissenen Apfel. Jesus sieht zum Himmel und dankt dafür. Ich kenne niemanden sonst, der für einen angebissenen Apfel dankt. Für das Wenige, das Halbe, das Unvorbereitete. Das, was jetzt da ist. Mein Herz klopft, als er uns das Brot gibt. Nehmt, sagt er. Gebt. Wir reichen weiter, was wir haben. Ohne abzuzählen. Ohne uns zu versichern, dass es genug ist. Wir machen einfach. Die Mutigen greifen zu. Schmecken. Kosten den Moment und genießen. Keiner beschwert sich, dass es zu wenig ist. Niemand drängelt. Alle machen mit. Die Angst, es könnte nicht reichen, verschwindet. Über die Wiese wehen Worte und Lachen, jemand holt eine Mundharmonika raus. Es ist längst dunkel geworden, aber niemand will gehen. Ist das ein Wunder?

 

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Kommentare: 6
  • #1

    Gundolf (Montag, 21 Juni 2021 19:11)

    Ja, so einfach kann Gemeinschaft sein. Communio.
    Am Abend ein Mahl.
    Abendmahl.
    „Seht nach, was da ist.“
    Und alle wurden satt.
    Und zufrieden.
    Und alle waren dabei, keiner ausgegrenzt.

    Danke für die tollen Zeilen.
    Bleib(t) gesund, negativ und behütet ❣️

  • #2

    Jeannette (Mittwoch, 23 Juni 2021 08:13)

    Abtauchen in das unendliche Meer von Gottes LIEBE......
    die Feinde bleiben zurück !
    Einfach sein.....
    Leben und Lieben.....

    DANKE ! für die Hoffnung bringenden Worte zum richtigen Zeitpunkt :-))

  • #3

    Monika (Freitag, 25 Juni 2021 09:37)

    Gern wäre ich dabei gewesen...

  • #4

    John Klee (Freitag, 06 August 2021 14:06)

    Danke!!!

  • #5

    Edith (Sonntag, 29 August 2021 12:24)

    Sooo schön!

  • #6

    Helmut (Sonntag, 27 Februar 2022)

    Diesen Text, diesen Sommertext, durch den der warme Abendwind weht - den lese ich gern und immer mal wieder. Und ich teile ihn mit anderen, dann wird er zu Brot, und zu Fisch, und zu Leben, und zu - zu Apfel, köstlich und frisch. Dankeschön für diese wunderschönen Texte, die die alten Texte singen machen und Hoffnung schenken, gerade jetzt, Hoffnung auf eine andere Welt.

 

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