In einer Nacht im Juli, in einer ganz normalen Nacht, in der die Grillen zirpen und die Gräser rauschen, sterben ein Mann, eine Frau und ein Kind. Dunkelheit umfängt sie und keiner von ihnen weiß, was werden wird. Sie sind schließlich noch nie gestorben. Nach einer Weile gewöhnen sich ihre Augen an die Schwärze und am Ende, ganz am Ende ihres Blickfeldes meinen sie, ein Licht zu erkennen.
„Sicher eine Sinnestäuschung“, denkt der Mann.
„Ganz schön weit weg“, denkt die Frau.
Das Kind denkt gar nichts, es geht einfach los.
Sie kommen an ein Haus. Seine Fenster strahlen golden. Die Tür steht offen. Über der Tür hängt ein Schild. „Himmel“ steht darauf.
„Wie albern“, denkt der Mann. Er war sein Leben lang pragmatisch veranlagt und dachte nicht daran, das jetzt aufzugeben. „Als ob der Himmel ein Haus sein könnte. Wie sollen denn da alle hineinpassen?“ Und er fühlt sich in dem bestätigt, was er schon immer gewusst hatte: dass es keinen Himmel geben kann, weil ein Himmel unlogisch ist. Also geht er weiter und verliert sich im Dunkel der Nacht.
Auch die Frau bleibt zögernd vor dem Haus stehen. So hat sie sich das nicht vorgestellt. Die offene Tür verwirrt sie. Kann denn hier einfach jeder rein? Und wieso muss man selbst eintreten, gibt es niemanden, der einen hineinbittet? Wo ist Gott? Die Frau hat gelernt, dass er sie empfangen würde. Dass es ein Himmelstor gäbe und Engel. Und nun ist alles ganz anders. Die Frau ist sehr enttäuscht, so enttäuscht, dass sie sich weigert hineinzugehen: „So nicht“, sagt sie und verliert sich im Dunkel der Nacht.
Das Kind hat viel Zeit gehabt, sich den Himmel auszumalen. Es war lange sehr krank gewesen. Wenn es im Bett lag, stellte es sich Einhörner vor, die unter Bananenpalmen grasten. Manchmal ritt es auf einem Adler. Engel begegneten ihm, die ebenfalls fliegen konnten und auch singen. Großmutter war dort und Stups, sein allererster Hund. Im Himmel gab es genug zu essen, auch die Sachen, die es jetzt nicht mehr essen konnte, weil sein Hals beim Schlucken wehtat und rot und entzündet war. Manchmal träumte das Kind davon, wie es eine riesige Brezel aß. Dann wieder schwamm es im Meer, ohne müde zu werden. Jeden Tag träumte das Kind einen anderen Traum und alle waren schön.
Deshalb ist es nicht erstaunt, vor einem Haus zu stehen. Wer auf Adlers Flügeln reitet, betritt auch ein Haus, dessen Fenster leuchten. Neugierig geht es hinein, du siehst ihm hinterher, bis es verschwindet, aufgenommen vom Licht.
aus: Wie lang ist ewig? Geschichten über das Leben und Davongehen
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Sylvana (Sonntag, 01 November 2015 15:37)
Heute war ein kleiner rothaariger Junge der den Altarraum und die Kanzel für sich entdeckt hat die wirkliche Predigt in unserem Gottesdienst. Und das nachdem wir bei der Taufe gehört haben: "... den ihnen gehört das Himmelreich". Und nun dieser Text. Wie passend...
Liebe Grüße und Danke
Sylvana
Kiener Eveline (Sonntag, 01 November 2015 19:56)
Herzlichen Dank für diese wundervollen, beseelten Geschichten! Gerne werde ich das Büchlein mir lieben Menschen verschenken!
Elke (Dienstag, 03 November 2015 08:54)
Berührt !