Sonntags Gottesdienst

Auf einem Bettlaken steht Seelenfutter: Eat, pray, love. Ich sehe Bauwagen in allen nur erdenklichen Farben. Rot mit gelben Fensterläden, gelb mit türkisen Rädern und einen Wagen, der ist grün-weiß gepunktet. Das Ganze sieht aus wie Legoland in groß, nur, dass hier und da der Lack abgeblättert ist. Ich habe mich schon oft gefragt, warum Menschen ihre Häuser grau streichen. Oder beige. Oder garnichtfarben. Ist graue Farbe billiger als bunte? Oder ist das ein Statement: Bitte beachten Sie mich nicht, ich tue nichts zur Sache. Ich bin ein durchschnittlicher Bürger und stehe für nichts. Oder haben die Bewohner Angst, man könnte sie in einem gelben Haus für kindisch halten? 

Eine Frau steht vor mir. Ich glaube, sie hat was gesagt.

„Hallo, herzlich willkommen!“, setzt sie nochmal an, dann führt sie mich zu einer Wiese, die mit Kissen und Decken übersät ist. Ein riesiger Flickenteppich, auf dem bereits siebzig oder achtzig Leute Platz genommen haben. Ich setze mich dazu und fühle mich ein bisschen verloren, weil ich keinen kenne. Da geht die Musik los. Sie überfällt mich aus heiterem Himmel. Alle Härchen an meinem Körper stehen Kopf. Trommeln, Trompeten, Gitarren, Akkordeon, es klingt, wie ein riesiges Balkanorchester. Ein paar Leute fangen an zu singen, andere stimmen ein, es werden immer mehr, sie wiederholen nur eine einzige Zeile, und nach und nach verstehe ich, was sie singen: What if God was one of us, just a slob like one of us, try to make his way home. Immer lauter wird der Gesang, immer schneller die Musik. What if God was one of us, wieder und wieder. Nicht möglich, sich dem zu entziehen, lauthals singe ich mit. Ich bin glücklich.

Die Musik bricht ab. Die Stille ist ohrenbetäubend.

„Glücklich“, beginnt Jesus, „sich von dem Leben lösen zu können, das man geplant hat, damit man das Leben findet, das auf einen wartet. Meistens stellen wir uns doch vor, dass wir hier sind und Gott ist ganz weit weg. Es ist aber genau umgekehrt: Gott ist hier und wir sind ganz weit weg. Gott wartet.“ „Wo?“, ruft eine andere. „In deinem eigenen Herz. Wer zu sich kommt, kommt an Gott nicht vorbei. Und umgekehrt auch nicht.“ „Das ist doch nur seichtes Gequatsche! Wir müssen die Welt verändern. Es läuft so viel falsch, den massenhaft gequälten Tieren oder einem gefolterten Oppositionellen wird es kaum helfen, wenn du auf dein Herz hörst. Wir müssen handeln, nicht fühlen!“

Jesus grinst ein bisschen, fast könnte man meinen, es läge Spott darin. Aber seine Augen lächeln mit. „Hast du je davon gehört“, fragt er, „dass es etwas nützt, wenn man über einen kaputten Motor eine neue Karosserie baut? Das Auto wird trotzdem nicht wieder fahren. Oder nützt es etwa, ein Update auf ein völlig veraltetes Betriebssystem zu spielen? Wir müssen von vorn anfangen. Und welcher Anfang liegt näher als du selbst?“

 

aus: Große Freiheit. Die Geschichte des Wasserwandlers

 

Kommentare: 2 (Diskussion geschlossen)
  • #1

    Friedhelm Meiners (Freitag, 29 April 2016 16:00)

    Toller Text, liebe Susanne!
    Bin gespannt auf das Buch!
    Liebe Grüße aus Braunschweig
    Friedhelm

  • #2

    *freudenwort (Freitag, 29 April 2016 16:26)

    ... vielen Dank.
    Viel Spaß beim Lesen und schöne Grüße elbseits zurück!
    Susanne

 

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