Das Paradies ist ein alter, verwahrloster Garten, in dem die Freiheit wartet. Sie ist wild, unberechenbar und verrückt. Sie verrückt Grenzen. Als „Pippi Langstrumpf“ erschien, entfachte sie einen Sturm der Entrüstung. Nicht bei allen, aber bei jenen, denen ihre Freiheit zu viel des Guten war. Zu wild. Zu radikal. Ein Mädchen, das tut was es will, sei „demoralisierend“und „gesellschaftsschädigender Schund“. Pippi sei „etwas Unbehagliches, das auf der Seele kratzt.“
Wie Gott.
Schon klar, Pippi Langstrumpf ist nicht Gott. Aber kann sein, dass Gott ein bisschen wie Pippi Langstrumpf ist. Wild. Frei. Unberechenbar. Einer, der auf der Seele kratzt.
Meistens soll Gott nett sein. Einer, der tröstet und die Dinge ins Lot bringt. Früher durfte er auch zornig sein und beängstigend, aber die Zeit ist vorbei. Nicht, dass ich ihr nachtrauere, aber nur lieb ist auch keine Lösung. Die Geschichten, die ich von Gott kenne, sind verstörend. Mal ist er der große Schöpfer, dann wieder will er alle vernichten. Mal ist Jesus der verständnisvolle Hirte, mal blafft er die Leute an und schwingt die Peitsche. Und auch Gottes Auserwählte sind sonderbare Charaktere. David, der Ehebrecher. Mose, der Totschläger. Maria von Magdala, angeblich eine Prostituierte. Hiob dagegen, dem Mustersohn der Menschenkinder, nimmt Gott alles weg. Gerecht ist das nicht. Und nachvollziehbar schon gar nicht. Hiob hält trotzdem an Gott fest. Ich auch. Weil ich jemanden will, der auf meiner Seele kratzt. Ich mag auch Wollpullover auf der Haut. Die fühlen sich echter an als Microfaserzeug...
Der ganze Text war im Deutschlandfunk zu hören. Hier kann man ihn nachlesen (oder hören).
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Andrea (Donnerstag, 18 Oktober 2018 22:10)
... und echte Wolle hat auch eine heilende Wirkung ... ;-)
Ira (Samstag, 27 Oktober 2018 21:33)
Wie schön! jetzt habe ich ihn doch gefunden, diesen wunderbaren Text, der mich am Sonntag Morgen im Deutschlandfunk so erfreut hat. Ich wollte ihn gerne ausdrucken und verteilen und auch selber nochmal lesen, habe ihn aber nicht gefunden. Nun aber doch, wo ich die Hoffnung schon (fast) aufgegeben hatte. Vielen Dank, liebe Frau Niemeyer, für die neuen Perspektiven!