Liebe Höflichkeit,

 

Sei ehrlich: Ehrlichkeit ist nicht deine Stärke. Du willst nicht authentisch sein. Über dein „wahres Ich“ denkst du nicht nach. Du nimmst dir nicht die Freiheit, jemanden zu mögen oder nicht zu mögen und ob dir eine Begegnung etwas bringt, ist keine Frage für dich. Du bist selbstlos. Im wahrsten Sinn des Wortes. Du berechnest nicht und rechnest dich nicht. Du dienst. Ziemlich altmodisch. Wahrscheinlich wurde dir schon oft geraten, mehr auf dich zu achten. Gefühle zu zeigen. Jemanden abzuweisen. Aber das tust du nicht. Du behandelst alle gleich. Du wünscht jedem einen Guten Morgen und sagst „angenehm“ auch dann, wenn dir der vorgestellte Herr Kunzelmann gar nicht angenehm erscheint. 

Das liebe ich an dir. Deinen Großmut. Du baust ein Gerüst, das stabil bleibt, auch wenn Sympathie und Frieden, Geduld und Verständnis wanken. Du erinnerst daran, dass jeder ein Mensch ist. Und darin, vielleicht nur darin, sind alle gleich. Du hältst auch einem Betrüger die Tür auf. Einem Heiratsschwindler wünschst du Gesundheit und selbst deine Antwort auf den übelsten Hetzbrief beginnst du mit „Sehr geehrte“. Du hältst Maß, wo ich mich nicht mehr mäßigen kann. Du gibst meinen Inhalten eine Form. Dabei redest du mir meinen Zorn nicht aus. Du leihst ihm nur deinen Mantel. 

Ich ahne, dass du manchmal aufgeben willst. Dass du dich fremd und unerwünscht fühlst. Dass du dich in schlaflosen Nächten fragst, ob jene nicht doch Recht haben, die behaupten, du seist überflüssig, ein Relikt vergangener Zeit. Lass dir das nicht einreden. Ich glaube an dich. Wir brauchen dich, wenn wir uns nicht zerfleischen wollen.

Halt durch!

 

Deine S.

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Kommentare: 3
  • #1

    Annette (Mittwoch, 03 April 2019 07:26)

    Wie wunderbar .... :-)

  • #2

    Silke Boehmann (Donnerstag, 04 April 2019 13:17)

    Liebe Susanne,
    danke für die Blumen! Mit mir darf sich jede und jeder königlich fühlen, denn ich adele jedes Gespräch und kröne jeden Brief, der sich meiner bedient. Ich gebe die Hoffnung nicht auf, dass man mich wieder entdecken wird. Denn schließlich mache ich die Menschen, die mit mir umgehen, zu Prinzen und Königinnen und wenn ich besonders in Form bin, dann fühlst Du Dich wie eine Kaiserin. Mit mir kannst Du Hof halten, in der heruntergekommenen U-Bahn-Station wie im geschmacklosen Konsumtempel. Ich kleide Deine Würde mit einem schönen Gewand, denn sie geht nicht gerne nackt.
    Hab keine Angst, ich gebe nicht auf!
    Herzlich grüßt Dich
    Deine Höflichkeit

  • #3

    Susanne (Freitag, 05 April 2019 08:23)

    Liebe Höflichkeit,

    das finde ich ja nett, dass du mir antwortest.
    Wenn ich recht drüber nachdenke... habe ich von dir eigentlich auch nichts anderes erwartet ;-)

    Herzliche Grüße, Susanne

 

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