Der kleine David und ich

„Das Vergessenwollen verlängert das Exil, 

und das Geheimnis der Erlösung heißt Erinnerung.“          

Ba’al Schem Tov

 

Ich erinnere mich an die jüdische Synagoge, an die nichts mehr erinnert, nur noch ein Parkplatz. Ich erinnere mich, dass Oma sagte, „die Juden“ seien irgendwie anders gewesen. Ich erinnere mich an meine erste Klassenfahrt nach Bergen-Belsen und mein Entsetzen. Ich erinnere mich an die Geschichten von Abraham und Mose und dem kleinen David, der Goliath besiegte. Ich erinnere mich, wie ich erst mit 17 Jahren entdeckte, dass es einen jüdischen Friedhof in meiner Stadt gibt. Ich erinnere mich an den Freund, der auf einmal meinte, es gäbe Beweise, dass der Holocaust nie stattgefunden habe. Ich erinnere mich, wie unvorbereitet ich auf so eine Behauptung aus seinem Mund war. Ich erinnere mich an Schweigemärsche am 9. November, und dass einige nicht schweigen wollten, weil Schweigen nichts ändere. Ich erinnere mich, sehr viele Male „Hevenu schalom alejchem“ gesungen zu haben. Ich erinnere mich an meines Großvaters Blick, mit dem er sagte, er verstehe nicht, warum sie einem wie Hitler gefolgt seien. Ich erinnere mich an Jungs auf dem Schulhof, Hakenkreuze und „Deutschland den Deutschen“. Ich erinnere mich an meinen Zorn. Ich erinnere mich, wie ich hörte, Juden hätten das Corona-Virus erschaffen.

Ich erinnere mich, zu widersprechen.

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Kommentare: 2
  • #1

    Timo W. (Samstag, 14 November 2020 16:24)

    Ich erinnere mich an die Beschimpfungen und Misshandlungen, ausgehend von muslimischen Klassenkameraden.

  • #2

    Petra (Sonntag, 15 November 2020 22:44)

    Ich erinnere mich an Jerusalem, als es vom Nachbarort Ramallah noch nicht durch eine Mauer getrennt war. Ich erinnere mich an ein Streitgespräch zwischen Juden und Palästinensern, das sie auf Deutsch und Englisch führten weil keiner die Sprache des anderen sprechen wollte. Ich erinnere mich, dass es eigentlich darum ging, wer mehr gelitten hat. Ich erinnere mich, dass wir uns in jeder Messe verpflichten, lieber zu leiden als Leid zu verursachen. Vielleicht ist das der einzige Weg, der nicht zu Krieg oder Mauern führt: Sagen: Erzähl mir von deinem Leid, um dann Mitleid zu empfinden.

 

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